“Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.” (Klgl 3,22-23)
Das Kapitel aus den Klageliedern, aus dem dieser Vers stammt, beginnt mit einer eindrücklichen Aufzählung all der Leiden, die der Beter in seinem Leben erleben muss. Er klagt seinen Gott dafür an, dass er in dunklen Zeiten lebt, dass seine Knochen schmerzen und dass seine Haut alt und schlaff geworden ist. Er fühlt sich fast schon wie tot und in seiner ausweglosen Situation alleingelassen und gefangen. Allenfalls Spott hat er noch zu erwarten, so schlecht geht es ihm.
Und noch schlimmer: Auch Gott verschließt seine Ohren vor der Klage des Beters. Er lässt ihn in die Irre laufen, überfällt und zerfleischt ihn wie ein Löwe und schießt dem Beter mit gespanntem Bogen zusätzlich Pfeile in die Nieren, statt ihm zu helfen. Es bleibt ihm nichts Anderes übrig, als auf seinen Problemen herumzukauen wie auf Kieselsteinen und sie mit bitterem Wermut herunterzuspülen.
Aber dann formuliert der verzweifelte Beter plötzlich mit dem Monatsspruch Worte, die an das gemeinsame Bekenntnis Israels erinnern, dass sein Gott gnädig und barmherzig ist, geduldig und von großer Treue. Dieses Bekenntnis wendet der Klagende hier ganz persönlich auf sich selbst an. Wenn all das Üble von Gott kommt, dann muss es auch eine Gabe Gottes sein, dass er in einer Welt, in der die meisten früh sterben, überhaupt alt werden durfte. Und gilt das dann nicht für jeden weiteren Tag? Solange Gott ihn aufwachen lässt, solange ist Gottes Barmherzigkeit offenbar noch nicht ganz ans Ende gekommen. Und solange der Beter einen neuen Morgen erblickt, solange ist die Treue seines Gottes noch immer groß.
Es ist dieser radikale Blickwechsel, der wieder Mut und Hoffnung aufkommen lässt. Schon die Tatsache, überhaupt noch zu leben, kann er nun als Zeichen der Güte Gottes sehen. Und aus dieser Erkenntnis leitet er dann auch die Hoffnung ab, die er direkt danach formuliert: „Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele, darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig zu sein und auf die Hilfe des HERRN zu hoffen.“ (Klgl 3,24-27)
Das ist eine Hoffnung gegen die aktuelle Erfahrung des Leidens. Eine Hoffnung, die an Gottes Barmherzigkeit festhält, obwohl noch kein Ausweg in Sicht ist. Ein Blick auf Gottes Güte, um Kraft zu schöpfen für den kommenden Morgen, den nächsten Tag in dunkler Zeit. Eine trotzige Hoffnung, die mit Verweis auf Gottes Treue einfach nicht aufgeben will, weiter mit Gottes Hilfe zu rechnen.
Prof. Dr. Ralf Dziewas
Für die Gedanken zum Monatsspruch bedanken wir uns wieder bei der Theologischen Hochschule Elstal für diesen besonderen Service.