Gedanken zum Monatsspruch für den September 2023

Mit einer einzigen Frage kann jeder für sich feststellen wie mutig oder wie feige er ist. Ob einer mutig oder feige ist, richtet sich bei dieser Frage nämlich danach, wem sie gestellt wird. Die Frage lautet: „Wer sagen eigentlich die anderen, wer ich bin?“ Die Feigen stellen sie denen, von denen sie wissen, dass sie ihnen nach dem Munde reden und eh nur das sagen, was sie hören wollen.

Wolfgang Blaffert, bis 2022 Referent im Landesjugendpfarramt in Hannover malt sich das so aus: „Ein Mann mit seinen Getreuen im Bunker. Es ist halb dunkel. Sie gehen einen unendlichen Flur entlang. Plötzlich dreht der Mann, der vorausläuft, sich um und fragt: „Wer sagen die Leute, dass ich sei?“  – „Einige sagen, du seist Wladimir I., der Gründes des Reiches der Rus.“ – „Einige meinen, du seist  Lawrenti Berija, der Chef des Sowjetischen Geheimdienstes.“ – „Andere sagen, du seist Stalin, der sich seit 1929 „Führer der Sowjetunion“ nennen ließ.“ Bei der letzten Vermutung dreht Wladimir Putin sich ins Halbdunkel, damit niemand ihn lächeln sieht.“

Die Mutigen stellen diese Frage ihren Freunden, von denen sie wissen, dass sie auch unsere Reaktion auf die Wahrheit aushalten  werden. Jesus war so ein mutiger Mensch, wie unser biblisches Wort für den Monat Oktober 2023 zeigt. Es steht im Matthäusevangelium, 16. Kapitel und lautet :

„Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er sprach zu ihnen: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn!

Jesus geht darin sogar noch einen Schritt weiter und fragt einen von denen, die ihm in der letzten Zeit am nächsten gewesen sind und ihn ziemlich gut kennen müßten, wer er denn für ihn ist. Und Petrus antwortet, dass er für ihn etwas ganz Besonderes und Einzigartiges ist, nämlich der von Gott in die Welt geschickte Zurechtbringer aller Dinge mit einer großen Tasche voller Balsam für alle Wunden der Menschen, also der Christus, der Sohn Gottes.

Aber auch das ist noch nicht alles: wer sich von Jesus fragen und zu einer Stellungnahme herausfordern lässt, bekommt nämlich noch eine andere Frage mit auf den Weg. Und diese Frage ist eine der aktuellsten unserer Zeit: wer bin denn ich eigentlich? Angesichts der Entwicklung der sozialen Medien in den letzten Jahrzehnten wird jeder Einzelne immer mehr zum Vermarkter seiner selbst unter seinem eigenen Label. Jeder designed und performed das Bild, mit dem er in der Öffentlichkeit präsent sein will. Und irgendwo zwischen Verweigerung, Ausprobieren und Irrtum droht dann der wahrhaftige, ehrliche Blick in den Spiegel auf der Strecke zu bleiben. Im besten Falle schaffe ich es identisch mit meinem Bild zu bleiben. Im schlimmsten Falle zerreißt es mich zwischen der Erwartungshaltung der anderen und dem optimierungswahnhaften Anspruch an mich selbst. In der Gegenwart Jesu darf ich aussteigen aus diesem Teufelskreislauf der immer um sich selbst kreisenden Beschäftigung mit dem eigenen Bild und seiner Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Die Antwort auf die Frage, wer ich denn eigentlich sei, ist das erlösende Loslassen dieser Frage und ihrer Antwort

Petrus bekommt eine grandiose unerwartete Antwort nach seinem Bekenntnis zu diesem Christus. Jesus sagt zu ihm: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.“  Ich darf erleichtert zugeben, wer ich auch bin, es ist etwas anderes als das Bild, das die anderen von mir haben, und etwas anderes als das Bild, das ich von mir habe. Es reicht mir zu wissen, dass Gott ein Bild von mir hat, das schon jetzt dem entspricht, was ich einmal sein werde. Dietrich Bonhoeffer, der große Theologe des 20sten Jahrhunderts hat sich dieser Frage und ihrer Antwort in den Jahren 1944/1945 in dem beeindruckenden Gedicht „Wer bin ich?“ gestellt, bevor er im Gefängnis in Berlin-Tegel vor ein Standgericht gestellt und erhängt wurde.

Video-Clip: Dietrich Bonhoeffer: Wer bin ich? Filmausschnitt mit Ulrich Tukur als D. Bonhoeffer – YouTube

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
 
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.
 
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
 
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
 
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Wer eine hilfreich Antwort auf die Frage haben möchte: „Wer bin ich?“, der ist bei Jesus an der richtigen Adresse. Wenn Du eine Antwort auf die Frage findest: „Wer ist Jesus für Dich?“, dann schenkt Jesus Dir einen Blick ins Herz Gottes, wer Du in seinen Augen bist: nämlich ein geliebter Mensch mit einer sinnvollen Aufgabe in dieser Welt an dem Ort, an dem Du lebst.

Einladung zu einem Gebet verfasst von Wolfgang Blaffert

“Dein Blick, Gott, trennt nicht, sondern vereint. Du siehst uns so, wie wir sind,
nicht wie wir sein wollen oder uns geben.
Du schaust durch alle Maskerade hindurch
und sagst Ja.
Deine Liebe sieht die Fehler, ohne sie zu zählen.
Deine Liebe sieht, was gut an uns ist.
Lass uns gut zu uns selbst sein und auch zu anderen.
Gib, dass wir jeder und jedem eine Chance geben.
Lass uns das Gute im anderen entdecken
an jedem neuen Tag. Auch heute!
Schenke uns allen einen wohlwollenden Blick.
Amen”

 

 

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